Überall Autos aus längst vergangenen Zeiten

Ein Mix aus den 70ern, 80ern und dem Besten von heute

Eigentlich sind wir schon in Miami angekommen, aber nach dem wir noch ohne einen Fuß an Land gesetzt zu haben schon von einem Polizeiofficer angebrüllt worden sind und danach dann auch noch auf einer Sandbank stecken blieben, schwelgen wir lieber noch eine Weile in einem Kuba im Jahre zweitausendvierzehn, dass sich anfühlt wie ein Mix aus den Siebzigern, Achtzigern und dem Besten von heute.

Wir bleiben auf einer Sandbank im Hafen von Miami stecken
Wir bleiben auf einer Sandbank im Hafen von Miami stecken

Die Sonne steht im Zenit und ich stehe seit Stunden auf einem Dach in Santiago de Cuba. Vermutlich werde ich morgen den Sonnenbrand meines Lebens haben, aber das ist mir egal. Es sieht einfach so großartig aus und ich filme, so viel ich kann. Egal wo ich die Kamera hinrichte, entdecke ich großartige Szenen. Ein Mann im weißen Unterhemd raucht eine Zigarre auf dem Balkon. Zwei Bauarbeiter mit Schnäuzern auf dem Nachbardach machen Pause und essen ihre selbstgeschmierten Brote. Eine junge Schwangere hängt bunte Wäsche auf ihren grauen Balkon.

Über den Dächern Santiago de Cuba
Über den Dächern Santiago de Cuba

Der Pfarrer, auf dessen Dach ich stehe, zeigt mir in der Ferne die original Bacardi-Fabrik, das Wasserwerk, die private Tanzschule und wenn er nicht recht weiter weiß, was er mir noch zeigen soll, dann streichelt er in Kreisen über seinen dicken Bauch. Er spricht sehr gut Englisch, obwohl er in seinem sechzig Jahre andauernden Leben noch nie im Ausland war. Vorbereitet wurde er zwar darauf, bei einem Austauschprojekt zu helfen in einem armen Land, einem ärmeren als Kuba, aber das ist lange her. Damals war er Arzt, jetzt ist er Pfarrer und heute hat er uns sein Dach zur Verfügung gestellt, damit wir Musiker aufnehmen können.

Der typische kubanische Balkon
Der typische kubanische Balkon

Er besitzt eine eigene eMailadresse und hat sogar einen Computer zu Hause. Das mag schon was heißen, hier in Kuba. Ich frage ihn, ob das nicht verboten ist, doch er meint nur, so richtig legal sei das zwar nicht, aber so richtig verboten eben auch nicht. Erinnert mich irgendwie an meine Helden aus der Jugend. Damals sang ich in meinem Kinderzimmer mit den Punkern von Slime im Chor: Legal, illegal, scheißegal!

Während ich bei dem gemütlichen Pfarrer auf Toilette sitze, höre ich eine entfernt vertraute Musik. Aber es ist definitiv nichts aus dem Radio, ohne Gesang, eher so klimpernd, düdelnd. Als ich mir den Eimer schnappe, um zu spülen, ihn noch mal nachfülle, weil ich einen sehr großen Haufen in die Toilette gemacht habe und der erste Eimer nicht gereicht hat, fällt es mir auf ein Mal ein. Da spielt jemand Sims 2! Ein vorsichtiger Blick um die Ecke bestätigt, dass in ihrem eigenen Zimmer die Tochter des Pfarrers an einem Laptop sitzt und zockt. Vor zehn Jahren, allerdings an einem Desktopcomputer mit zwanzig Gigabyte Festplattenspeicher muss ich bei dem selben Spiel genauso vertieft gewesen sein, dass ich eine Kubanerin, die in mein Zimmer luscherte gar nicht bemerkt hätte.

Ich bin neugierig und würde gerne wissen, wie sie ihren Charakter konzipiert hat, muss aber wieder die Kamera schnappen und die Ankunft unserer Musiker filmen. Miguell hat seinen Kontrabass dabei und schaut stutzig die schmale Wendeltreppe aus den zwanziger Jahren an, die zum Dach führt. Das große Instrument ist in keinem Koffer, oder einer Tasche, er hat es einfach so in der Hand gehabt, der Aufkleber von der deutschen Brause „bizzl auf der Zunge lacht“ für jedermann sichtbar. Ob er mit dem Kontrabass auch Motorrad-Taxi gefahren ist? Mit einem dieser alten Dinger aus dem Motorenwerk Zschopau, das letztes Jahr in Deutschland in Insolvenz gegangen ist?

Ein Kontrabass auf der Straße
Ein Kontrabass auf der Straße
Wie lange der Aufkleber da wohl schon dran klebt?
Wie lange der Aufkleber da wohl schon dran klebt?

Mario ist bestimmt auf dem Sozius einer MZ mitgefahren, er hat nämlich nur eine Trompete und spielt sie sehr oft. Seine Lippe ist vom vielen Spielen punktuell geschwollen, es sieht sogar aus, als hätte er Hornhaut an einer Stelle. Mario geht schon mal vor und nimmt den Bass auf halber Höhe entgegen, schiebt ihn noch ein wenig weiter und schon kann Benni von der obersten Etage den Hals greifen und das Ding zu sich ziehen. Das wäre also geschafft.

Seine Lippe vom vielen Spielen schon ganz geschwollen
Seine Lippe vom vielen Spielen schon ganz geschwollen
Der Kontrabass wird die Wendeltreppe hinunter bugsiert
Der Kontrabass wird die Wendeltreppe hinunter bugsiert

Nach den Aufnahmen wollen wir beide noch interviewen. Dazu stelle ich einen Stuhl so hin, dass im Hintergrund möglichst viel von Santiago zu sehen ist, dass die Sonne aus dem richtigen Winkel kommt und bedeute Miguell Platz zu nehmen. Doch er will nicht recht und ich blicke Hilfe suchend den Pfarrer an, der uns beim Übersetzen hilft und die ganze Recordingsession über im Hintergrund seinen Bauch gekrault hat. Er versucht einen Witz zu machen, fragt ob ich Adolf hieße. Es rattert in meinem Kopf, so witzig hatte ich ihn gar nicht eingeschätzt, deshalb dauert es einen Moment, bis ich verstehe. Er vergleicht meine Interviewpraxis mit den Konzentrationslagern unseres damaligen Führers. Ja, was soll man da denn sagen? Okay, die Sonne steht immer noch ziemlich hoch, doch so heiß ist es nun wirklich nicht, dass man sich da jetzt fünf Minuten in der Sonne nicht auch noch interviewen lassen könnte…

"Was soll ich bloß sagen?"
“Was soll ich bloß sagen?”

Schon in Indien wurde ich mal angesprochen, dass Hitler ja voll toll war. Aber ich bin doch der Anti-Nazi, da darf man die Diskussion mit mir dann erst wieder verlassen, wenn man zugibt sich geirrt zu haben und mindestens drei Mal laut „Fuck the Nazis, I hate Hitler!“ gesagt hat.

Nach dem wir das also geklärt hätten, können wir irgendwann doch noch unsere Musiker interviewen, den Kontrabass wieder die Wendeltreppe hinunter bugsieren und nach diesem erfolgreichen Tag alle zusammen Essen gehen. Das ist immer ein ganz besonderes Erlebnis in Kuba. Man öffnet die Tür zu einem Lokal und denkt als armer Seemann zunächst, dass man erstens „back in the eighties“ ist und dass das jetzt aber ein bisschen zu teuer aussieht. Mindestens fünf Kellnerinnen stehen sich um fünfzehn freie Tische die in Netzstrumpfhosen verpackten Beine in den Bauch. Auf der Karte sind hinter den Gerichten die genauen Grammanzahlen gedruckt. Nudeln mit Putenstreifen – zweihundertzweiundfünfzig Gramm. Bunter Salat – hundertachtundzwanzig Gramm.

Prost!
Prost!

Ein alter Mann im Anzug kümmert sich um einen anderen Bereich des Lokals. Er arbeitet seit fünfundzwanzig Jahren hier, immer im gleichen Anzug, wie sich Vladimir unser Freund und Tourguide erinnert, mit einem schicken Schlips und polierten Schuhen. Mit Haltung nimmt er Bestellungen entgegen, räumt ab und achtet auf saubere Tischdecken, ganz wie in einem 5-Sterne Restaurant. Sollte eine Decke doch ein mal mit dem dickflüssigen Käse der Pizzen bekleckert sein, der nach geschmolzenem Schablettenkäse schmeckt, nimmt er sich ein Messer und schabt die eingetrocknete Käsekruste professionell und fast rückstandslos ab. Dann lächelt er der dienstältesten Kellnerin zu, die trotz, dass sie das Rentenalter schon längst erreicht hat noch immer in dem gleichen Lokal arbeitet, in dem sie vor langer Zeit ihre berufliche Karriere begonnen hat und an einem anderen Tisch Käsekrusten entfernt.

Am Ende wird uns die Rechnung überreicht. Für jeden von uns fünf ein füllendes Mahl, zwei Bier und Wasser für insgesamt zwanzig Euro. Da lädt man doch gerne zum Essen ein!

Einen Tag später heißt es dann für uns verproviantieren für die Überfahrt auf die Bahamas. Mit Lauren, unserem Besuch aus Südafrika und wie immer Vladi, unserem Freund und Tourguide klappern wir die vielen kleinen Stände ab. Mal gibt es Tomaten, Bananen und Kartoffeln, woanders dann Orangen, irgendwo gibt es Salat und Ananas.

Wir sind noch unsicher, wieviel wir einkaufen wollen
Wir sind noch unsicher, wieviel wir einkaufen wollen

Wir stellen uns die Bahamas so vor, dass es dort im Prinzip nichts gibt. Nur fast unbewohnte Inseln, weiße Strände und Menschen, die sich von Kokosnüssen ernähren. Das hilft uns zu rechtfertigen, dass wir unbedingt unendlich viel Rum, Wodka und Wein noch einkaufen müssen, denn damit könnten wir auf den Bahamas dann handeln. Unsere erste Flasche Rum wollen wir auf alle Fälle gegen eine Machete eintauschen, sodass wir die Kokosnüsse öffnen können, die an den unzähligen Palmen nur darauf warten, von uns geknackt zu werden. Dass die Bahamas dann ganz anders sind, das konnten wir ja nun wirklich nicht ahnen…

Ein wenig bewegtes Bild gibt es von uns auch in der In.Puncto Sendung auf EinsPlus vom 07. April:

Senf dazugeben