Spaß am Strand von der Lagune "do paraiso"

Eine Woche im Paradies

Mit roten Augen und noch etwas müde sitze ich um neun Uhr an einem Freitag Morgen auf einem grasgrünen Plastikstuhl in einer zitronengelben Küche, rauche eine Zigarette, weil ich diesen Moment unbedingt festhalten muss, aber meine Gedanken genauso bunt durcheinander gewürfelt sind, wie diese Kombüse. Heute soll es weiter gehen, nach Cayenne, Französisch-Guayana. Eigentlich wollten wir nur drei Tage hier bleiben – unser Visum ist schließlich schon um zwei drittel überzogen und wir befinden uns illegal im Land – kurz unser Crewmitglied Lena verabschieden, niemanden aufnehmen und schon am Montag weiter fahren, aber Jericoacoara wollte das nicht.

Rote Augen, gelbe Küche, grüner Stuhl - nur fünf Stunden zuvor
Rote Augen, gelbe Küche, grüner Stuhl – nur fünf Stunden zuvor

Die Ankunft war schon aufregend. Das GPS hatte leider Recht, denn wir müssen im Dunkeln, kurz nach Sonnenuntergang den Anker schmeißen. Eigentlich machen wir so etwas ungern, im Dunkeln ankommen. Wir denken, noch ziemlich weit weg vom Strand zu sein, mit viereinhalb Metern Wasser unter dem Kiel und wundern uns aber keine fünf Minuten, nach dem die Segel unten sind, was das da für ein Licht ist. Kann das ein Auto sein? Nee, hat keine roten Rücklichter, ist bestimmt so ein kleines Fischerboot – ganz schön schnell aber. Als wenn in Brasilien alle Autos rote Rücklichter hätten… Es war natürlich kein Boot, denn zwei Stunden später gehen Segel und Anker wieder hoch und ein paar hundert Meter weiter wieder runter, denn jetzt war es nur noch eine Hand breit Wasser.

Die Sonne ist untergegangen und Jeri hinter diesem Hügel
Die Sonne ist untergegangen und Jeri hinter diesem Hügel

Am nächsten Morgen stellen wir dann fest, dass Wind, Strömung, Entfernung zum Strand, unser Schlauchboot und Paddeln heute in keiner guten Konstellation stehen. Also kommen endlich die beiden Surfbretter zum Einsatz, die wir seit über zwei Jahren ungenutzt mit uns schleppen, denn auf so einem Surfbrett kann man ziemlich gut und schnell vorankommen, um an Land dann einen Fischer/Fährmann zu organisieren. Das Problem nur: Wasser, Bretter und ich waren in dieser Konstellation noch nie zusammen.

Na klar, Palmen in Wüste vor blauem Wasser mit Kitesurfer - sehr vielversprechend!
Na klar, Palmen in Wüste vor blauem Wasser mit Kitesurfer – sehr vielversprechend!

Benni ist schon im Wasser, ich reiche die Bretter an und springe hinterher, bekomme noch einen Tipp „Körper aufs Brett und los!“, witzele „Ach, nicht drunter?!“ und dann ist der Captain auch schon weg. Ich rutsche links vom Brett, rechts vom Brett, treibe rückwärts und steige wieder an Bord. Reicht ja, wenn einer Hilfe holt. Eine halbe Stunde später kommt Benni tatsächlich in einem coolen Dingi mit starkem Motor und einem Kitesurfschulenbesitzer am Steuer wieder zurück und wir werden an Land gebracht.
Surreal ist es hier. Wüste mit riesigen Dünen direkt am Meer, es gibt keine Straßen, nur kleine Pousadas, Mädchen mit bunten Armen, keine Bank und keinen Geldautomaten, bzw. keinen, der Visa akzeptiert. Mit unserem Kram setzen wir uns in eine Bar mit WIFI und wissen noch nicht wirklich, wo wir heute Nacht bleiben, denn zurück zum Boot würde noch mal fünfzig Reais kosten. Da bekommt man schon ein Zimmer mit Frühstück für.

Der Captain holt Hilfe und ist mal nicht am Steuer
Der Captain holt Hilfe und ist mal nicht am Steuer

Von meinen Sorgen nichts ahnend baut sich in unserer Bar gerade ein Musiker auf. Sehr professionell erdet er mit einem Messer im Sand und langem Kabel seinen Mixer, ich darf seinen Strom für unsere Rechner anzapfen und bin gespannt, was jetzt wohl gleich kommt. So ein Surfertyp, mit gold-verspiegelter Sonnenbrille, nassen Locken und Muskelshirt gesellt sich auf die Bühne und ich kann da gerade nicht glauben, wie großartig er die Geige fiedelt!

Davi hinter dem Wahrzeichen von Jeri, dem "Pedra Furada"
Davi hinter dem Wahrzeichen von Jeri, dem “Pedra Furada”

Das war Davi. Von da an ging alles viel zu schnell, deswegen sind wir auch schon vier Tage zu lang hier: Wir müssen Davi natürlich aufnehmen, versacken mit ihm am ersten Abend in der „Cevicheria“, am zweiten beteiligen wir uns an der Völkerwanderung auf die Düne zum Sonnenuntergang gucken, holen das Cello vom Boot, um in der „Cevicheria“ aufzuspielen und ab sofort zum nicht-zahlenden Inventar dazuzugehören, am dritten fahren wir durch die Wüste zur Lagune „do paraiso“, bleiben auf dem Hinweg aufgrund Motorproblems liegen, auf dem Rückweg dann etliche Male stecken, schaffen es aber, zahlen abends für das Essen, Reis und Bohnen, nur die Hälfte, wir sind ja Einheimische, am vierten spielen wir wieder in der „Cevicheria“, es hatte ja allen soooo gefallen, am fünften gehen wir surfen, gucken Sonnenuntergang von einem anderen Strand, spielen, essen und trinken natürlich wieder in der „Cevicheria“, am sechsten schaffen wir es dann endlich Davi bei dem Wahrzeichen Jeris aufzunehmen, dem „Pedra Furada“ und der siebte Tag ist jetzt.

Spaß am Strand von der Lagune "do paraiso"
Spaß am Strand von der Lagune “do paraiso”

Die vergangene Woche war einfach so großartig, dass alles Negative aufgewogen und mit einer Welle der guten Erinnerung überspült wird: Die Überfälle in Rio und Salvador, die über tausend Euro an Mechaniker, für Reparaturen ohne langfristigen Erfolg, das geklaute Ventil in Fortaleza… alles ist gut.

Überall Paradies auf dem Weg zum Recording Ort
Überall Paradies auf dem Weg zum Recording Ort

Davi kommt herein. Vor einer halben Stunde lag er noch in der Hängematte, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Wofür er wohl gebetet hat? Wir starten eine halbherzige Unterhaltung über das Unvermeidliche: Wollen wir nun endlich mal, so früh wach, zu dem tollen Frühstückslokal gehen, wo wir schon vor fünf, vier und drei Tagen nichts zu Essen bekommen haben, weil wir zu spät waren, oder doch einfach selbst etwas Kleines zubereiten?
Auch er ist noch müde und wirtschaftet so um mich herum. Müllbeutel werden herausgetragen, sein Hund Snoop bekommt Futter, mein Aschenbecher wird geleert. Nebenbei summt er eine Melodie, die ich irgendwo her kenne. Was war das noch mal? Google weiß es. „To France“ von Mike Oldfield. Wieso singt er das jetzt? Und warum passt das so gut?

“Taking on water, sailing a restless sea” / “Far from the islands don’t you know you’re never going to get to France” / “Walking on foreign ground, like a shadow”

Senf dazugeben