Morgens um sechs lassen wir in Maceió neben duzenden Fischerbooten unter Segeln den Anker fallen. Hier macht die Mittelklasse Brasiliens Urlaub – die Strände der knapp einer Millionen Einwohner starken Stadt sollen die schönsten Stadtstrände im ganzen Land sein. Nur leider wurde der Strand, an dem wir ankommen, seit den fünfziger Jahren dermaßen verdreckt, dass die Badekultur eine Bucht weiter gen Norden gezogen ist. Wir tragen unser Dingi über Plastik hinweg aus dem Wasser auf den Strand und parken es dort, wo wir denken, dass die Flut es nicht stehlen kann – zwischen zwei Autos. Jedoch kommen gleich ein paar Männer aus der zum Strand zugehörigen Favela und machen klar: Gebührenfreie Parkplätze gibt es hier genauso wenig, wie im Rest des urbanen Brasiliens oder der Münchener Innenstadt.
Mit ein paar Reais weniger in den Taschen marschieren wir an der Promenade entlang in Richtung Altstadt. Eigentlich auf der Suche nach einem Café, vielleicht am Strand, das Frühstück serviert und ein WIFI-Zeichen an der Tür hat. Zielsicher biegen wir jedoch an den richtigen Ecken ab und lassen an irgendeiner Kreuzung die Strandidee zurück, um eine halbe Stunde später verloren im riesigen „Hipermarket“ zu stehen. Es gibt hier im Eingangsbereich ein Café und einen Laden mit Internetzugang. Mit Händen und Füßen versuchen wir den unterschiedlichen Angestellten unsere Vision einer Fusionierung zu erklären. „Hyper Hyper“ singt H.P. Baxxter dazu wenig hilfreich in meinem Kopf und ich kann mich trotz der verschallerten Laune des ersten Tages an Land beherrschen, nicht laut mitzusingen.
Da kommt eine auf uns zu, die definitiv auch nicht von hier ist. Heather ist gebürtige Amerikanerin und hat mit ihrem Mann Fabio gerade ein Restaurant eröffnet. Von elf bis drei gibt es hier ein extrem billiges Mittags-Buffet im passenden Ambiente. Direkt gegenüber vom Supermarkt. Und im Laden daneben haben Fabios Eltern ein Trödelgeschäft, in dessen eisgekühltem Büro wir ins Internet dürfen! Wäre das schon mal geklärt. Jetzt brauchen wir nur noch Frühstück, aber das lässt sich in dem „Hipermarket“ ja finden. Irgendwas schön fettiges, das wir auf See auf unserem wackeligem Herd nicht zubereiten können. Wir entscheiden uns für Broiler.
Am nächsten morgen stehen wir schon um vier Uhr auf, um mit Heather und Fabio auf den „Dirty Market“ zu gehen. Die beiden müssen Zutaten für ihr Restaurant einkaufen und hier gibt es einfach alles: Rinderhälften, ganze Rinder, Innereien, Fisch und auch Live-Tierschlachtung! Überall stehen den ganzen Tag Menschen auf engstem Raum zusammen im Halbdunkeln und zerkleinern Fleisch.
Eigentlich heißt der Markt „Mercado do Producao“, doch ich komme mir mit meiner Kamera vor, wie ein Spion vom Gesundheitsamt. Blut spritzt gegen gekachelte Wände und auf zementierten Boden, ein Stückchen Fleisch für den Hund fliegt über die Theke, und gleich noch eins! Ich lehne mich aus Versehen gegen eine Rinderhüfte. Keine fünf Minuten später fotografiere ich gedankenverloren wunderschön geschichteten Speck und werde fast von einhundert Kilo Mensch mit fünfzig Kilo Rind über den Schultern umgerannt. Dies ist kein Ort für Vegetarier oder Träumer.
Fabio führt uns hinter den Laden, wo er gerade fünfzehn frische Hühnchen bestellt hat. Während ein Mann mit leerem Blick die Hühner aus Kisten angelt, um sie dann kopfüber in ein Edelstahl Rondell zu hängen, unterhalten wir uns über unsere Einstellung zum Essen. Alle, die da sind, um sich das Spektakel anzuschauen, sind sich einig: Wir essen gerne Fleisch und wollen auch wissen, wo die Filets herkommen. Der Mann hat jetzt ein Messer in der Hand und schlitzt Huhn für Huhn den Hals auf. Ich revidiere: Es macht mir zumindest nichts aus, zu wissen, wo die Filets herkommen… auch wenn ich bei dem Geflügel-Gestank froh bin, heute Morgen nichts gegessen zu haben.
Nach einem kurzen Aufenthalt an einem der schönsten Stadtstrände Brasiliens können wir für die nächste Überfahrt schon wieder abgepackte Wurst kaufen, ohne an die Ausgangsform derselben denken zu müssen. Mit unendlich vielen Tüten bepackt stehen wir im Dunkeln vor unserem Dingi und überlegen, ob wir zwei Mal fahren müssen, oder es riskieren können, alles auf ein Mal mitzunehmen. Die Entscheidung nimmt uns eine lachende Alkoholfahne mit singendem Portugiesisch ab. Der dazugehörige Mann hat ein größeres Dingi und will uns gerne zu unserer Marianne fahren. Während er das eine lange Paddel, das am Ende seines Holzbootes befestigt ist, im Stehen rhythmisch hin und her bewegt, erzählt er uns seine Lebensgeschichte, die wir leider nicht verstehen. Doch mit einem hysterischen Quieken markiert er für uns die Höhepunkte, sodass auch wir lachen können und die Unterhaltung nicht abbricht, bis wir ihm, mit den Einkäufen an Bord, „muito obrigado“ für den Fährdienst ein paar Reais zustecken und er auf die Lichter der Strandbar zusteuert.
Wir dagegen verstauen Lebensmittel und anderen Kram seefest in unserer Marianne. Im Morgengrauen lichten wir den Anker, lassen uns von der Ebbe hinausziehen, hissen die Segel und nehmen Kurs auf Fortaleza, einer knapp zwei Millionen Einwohner starken Stadt, mit noch mehr schönsten Stränden Brasiliens…