Nach anderthalb Jahren Weltenbummlerei dachte ich mir eines Morgens zu Hause am Küchentisch: „Mensch, Hannes, Du kennst Dich in Deinem eigenen Heimatland ja viel schlechter aus, als so zum Beispiel in Indien.“ Um diesem Bildungsmissstand entgegenzuwirken, rief ich auf gut Glück im Reisebüro meines Vertrauens an – und tatsächlich, es war noch ein Platz bei dem Tagesausflug zum in.puncto Studio des SWR in Baden-Baden frei. Kost und Logis würden gestellt, Fahrtkosten übernommen und als Piemont-Kirsche auf dem Reisesahnetörtchen sollte ich auch noch meine langjährige Radiofreundin Nicole vom SWR3 endlich persönlich kennenlernen dürfen.
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Im Flieger bestellte ich mir übermütig bei der Stewardess zum Bier gleich noch einen Rotwein dazu. Das hätte ich mal lieber nicht tun sollen, denn kurz darauf meldete sich schon meine Blase. Auf See ist die größte Toilette der Welt schließlich immer frei und meine soziale Kompatibilität dadurch etwas gesunken. Ich bin einfach nicht mehr trainiert. Dass nun die Toilette ständig besetzt war (von anderen Pionierblasen) sollte nun mein Unglück sein. Unruhig rutschte ich auf meinem engen Sessel hin und her und konnte kaum einen Blick auf die im mystischen Nebel versunkenen badischen Städtchen werfen. Beim Aussteigen war ich dann natürlich der erste an der Gangway und mit geöffnetem Gürtel stürmte ich die Flughafentoilette des FKB.

Im Tannenhof händigte mir dann der übermüdete Rezeptionist als letzte Handlung noch eine Zahnpasta aus, da mir meine Tube zuvor bei den Sicherheitskontrollen in Berlin abgenommen wurde. Sicher ist sicher. Zufrieden schlummerte ich also im 60er Jahre Ambiente ein und musste in dem breiten Bett kurz an meinen Captain und seine 50 Zentimeter durchgelegenen Schaumstoff denken. Ob er die Kakerlaken schon von Bord scheuchen konnte?
Am nächsten Morgen dann brüllendes Schweigen der anderen Gäste in dem beengten Frühstückssaal. Jeder positionierte sich so an seinem Einzeltisch, dass er mit dem Rücken zu den holzvertäfelten Wänden saß und die feindlichen Teller genau im Blick hatte. Ich beschloss also auf laute Kohlenhydrate zu verzichten und hielt mich an leise, eiweißreiche Kost: Joghurt mit Früchten, Lachs mit Meerrettich und als Hauptgang Rührei mit Speck. Dazu trank ich drei Gläser billigen Multivitaminsaft und notgedrungener Maßen auch fast einen ganzen Liter „schwarzen“ Kaffee, um wach zu werden. Für später schmierte ich mir dann allerdings noch ein lautes, kohlenhydratreiches Brötchen. Wer weiß, wann ich das nächste Mal auf GEZ-Kosten bewirtet werden sollte…


Mit großer Erleichterung konnte ich nun der ersten Begegnung mit meiner Telefonfreundin Nicole entgegengehen. Da telefoniert man schon seit einem Jahr mit einem Mädchen, das man noch nie gesehen hat! Ein wenig aufgeregt war ich ja schon. Als Nicole dann aus der Maske kam, wir uns umarmten und die Stimme in personalisierter Gestalt vor mir stand, war alle Aufregung vergessen und die Welt wieder ein klein wenig schöner. Mit diesem Hochgefühl verging die Sendung in der „grünen Hölle“ dann im Nu. Während des Interviews drangen die Worte ohne meinen Verstand zu passieren aus mir heraus, sodass ich mir später erst die Aufzeichnung anschauen musste, um mir meine eigenen Worte wieder in Erinnerung zu rufen. „Wenn ich eine Frau wäre würde ich mich den ganzen Tag befummeln.“ Hörte ich mich sagen. Das hatten die gesendet?
Ein paar Stunden später im Taxi zum Flughafen hing ich in Gedanken noch dem aufregenden Tag nach und versuchte meine Souvenirs vom Mittagessen aus den Zahnzwischenräumen zu befreien. Das badische Nackensteak wollte sich einfach nicht von mir trennen. Doch nach dem ich meinem Fahrer, einem Altrocker mit buschigem Schnäuzer, kurz von den Sailing Conductors erzählte, sollte ich genug Zeit dazu haben. Wie ein Wasserfall plauderte er von seinen Rolling Stones Karten in der O2 World in London, die er für schlappe 1400 € erstanden hatte und von all den tollen Erlebnissen auf Beach Boys, Led Zeppelin und anderen Mega- Konzerten, um klar zu machen, dass er hier der Captain war. Ich beschäftigte mich mit dem Nackensteak, fand mich mit meiner Rolle als Smutje ab und konnte auf der Fahrt immerhin schon 2 von 3 Stückchen herauslocken.
Als dann der Flieger mit mehr als 200 Kilometern pro Stunde auf der Rollbahn entlangschoss und die Räder vom Boden abhoben – genau in diesem Moment ließ auch der letzte Rest Nackensteak los und ich verabschiedete mich von Baden-Baden. Es breitete sich der Geschmack des Glücks in meinem Munde aus und ich entschwand in den dunklen Nachthimmel nach Berlin. Zufrieden mit mir und dem Land unter mir, das ich jetzt ein bisschen besser kannte, bestellte ich bei der blonden Stewardess ein Bier und einen Rotwein dazu, um mein Training fortzusetzen.