Es ist Dienstag früh. 8 Uhr. Unser Chevy Impala ist vollgepackt. Ich bin nur froh, dass wir keinen Sportwagen gemietet haben, wie ursprünglich geplant. Die Mietwagenfirma bietet einen Dodge Challanger, Charger, Ford Mustang oder Chevy Camaro an, von denen wir lange geträumt haben, lassen uns aber doch in letzter Sekunde von unserer Vernunft besiegen. Zum Glück. Sonst hätten wir das Cello womöglich auf das Dach schnallen müssen. Und mich gleich daneben.
Unser erstes Ziel heißt Zion National Park. Das liegt auf dem Weg zum Grand Canyon, wo wir auf jeden Fall hinwollen. Wir sind guter Dinge und haben vor, irgendwo auf den Hügeln von Zion eine Aufnahme von Lincoln machen. Doch Amerikas Straßen sind lang. Und es gibt überall Speed Limits. Es fühlt sich so an, als könnte man während des Fahrens neben dem Auto herlaufen, wenn wir ganz allein auf den unendlich langen und breiten Straßen dahinschleichen. Denn überall ist 110 km/h das höchste aller Geschwindigkeitsgefühle. Das hätte ich sogar damals mit meinem alten VW-Bus noch hingekriegt, obwohl mich schon immer alle LKWs überholt haben. Hier lange Strecken fahren nervt. Da juckt es einen ganz schön im rechten Fuß. Der Weg zum Zion National Park zieht sich mächtig dahin. Doch irgendwann können wir doch die roten Berge am Horizont ausmachen.
Und ganz plötzlich sind wir mitten drin. Rote Steine und Berge soweit das Auge reicht. Richtiges Indianerland. Ich würde mich nicht wundern, wenn jetzt eine Horde Büffel vorbeiziehen würde, gefolgt von schreienden Cowboys und rauchenden Colts, gefolgt von buntbemalten Indianern mit Pfeil und Bogen. Zurück bleibt nur eine Staubwolke und eine Flasche Feuerwasser, die wohl beim schnellen Reiten aus einem Sattel gefallen sein muss. Naja, Büffel sehen wir zumindest wirklich gesehen. Nur grasen diese ganz friedlich am Straßenrand.
Eigentlich wollen wir den bekannten „Angel’s Landing“ Weg ablaufen, doch wir merken schnell, dass dafür keine Zeit mehr bleibt. Blöde Geschwindigkeitsbegrenzung. Ablaufen ist wohl auch das falsche Wort – entlang hangeln wäre hier passender, denn der Weg ist für den/die fortgeschrittenen Wandersmann/frau und ein Großteil besteht nur aus wenigen Zentimetern Pfad und einer Kette, an der man sich festkrallen muss. „Gut festhalten und nicht hinunterschauen“ schreiben die Reiseführer. Schade, das hätten wir gerne mitgemacht, doch wir wollen heute noch ein wenig weiterfahren, damit es morgen nicht mehr so weit bis zum Grand Canyon ist. Also müssen wir uns mit dem „Watchman Trail“ begnügen, der als ein leichterer und kürzerer Weg eingestuft wird. Na gut.
Leider bleibt auch für eine Aufnahme im Zion National Park keine Zeit mehr. Wir überlegen zwar hin und her, weil es uns wahnsinnig gut gefällt, doch entscheiden uns schließlich dagegen. Dann machen wir das eben im Grand Canyon. Kann ja auch nicht so schlecht werden. Es dämmert schon und wir steigen wieder in unser Auto und tragen den neuen Zielort im GPS auf dem Smartphone ein. Smartphone. Die ganze Welt hat eins. Jede Oma und jeder 4-jährige Lümmel. Nur ich nicht. Bis jetzt habe ich es noch ohne geschafft. Das Salz auf der Marianne hätte das Ding wahrscheinlich eh in null Komma nichts aufgelöst. Und jetzt würde ich das Ding am liebsten mit meinen Blicken auflösen. Denn Netz gibt es auf dem Weg zum Grand Canyon nur ab und zu. Und damit auch nur GPS ab und zu. Und somit verfahren wir uns ab und zu. Vielleicht sogar auch ein wenig öfter. Wo ist diese Karte, die ich doch die ganze Zeit besorgen wollte? Eine richtige Landkarte. Wie in den guten alten Zeiten. Und die Amerikaner machen uns es auch nicht gerade leichter mit ihren verwirrenden Schilderaufstellungen. Wir sind verwirrt. Des Öfteren. Fahren so manches Mal im Kreis, verstehen die Welt (oder besser dieses Amerika) nicht mehr. Und kommen doch bei Dunkelheit in einem Motel an, das nicht weit vom Grand Canyon entfernt liegt. Wir sind hundemüde und glücklich endlich etwas gefunden zu haben. Ein undefinierbarer Gestank umhüllt die Rezeption, die etwa 100-jährigen Eigentümer kommen direkt aus einem Horrorfilm und wir versuchen nicht an die Kettensäge unter dem Tresen zu denken. Und nicht zu atmen. Uns ist jetzt alles egal. Das Zimmer hat 3 weiche Betten, der Gestank entpuppt sich als das gemütliche Zusammenleben und dessen Ausdünstungen von rund 500 Katzen, die hier auch wohnen. Und die Bar ist nicht weit für einen Gutenacht-Drink. Mehr wollen wir doch heute gar nicht mehr.
Nach einem gemütlichen Frühstück auf dem Kofferraum geht es morgens weiter. Es ist nur noch eine halbe Stunde bis zum Canyon. Jetzt gibt es auch hier und da mal ein paar Schilder, die uns das sichere Gefühl vermitteln, dass wir auf der richtigen Straße sind. Doch dann versperrt uns ein Schild mit der Aufschrift „Road Closed“ plötzlich den Weg. Es ist die einzige Straße und wir denken schon daran, das Schild einfach wegzutragen, als wir eine Frau auf einem Parkplatz entdecken. Vielleicht sollten wir sie mal interviewen, bevor wir mit unserer Umbauaktion beginnen. Linc spricht mit der Frau und wir erfahren, dass die Straße und damit die Nordseite des Grand Canyon bis nächsten Monat geschlossen ist. Wir überlegen kurz, solange wollen wir aber dann doch nicht warten. Wir wissen nicht so richtig weiter. Wollen wir an die Südseite fahren, die noch geöffnet ist? Das wäre ein Umweg von einigen Stunden Fahrt. Direkt weiter nach Las Vegas? Linc schlägt Lake Powell vor, ein Stausee, nicht weit von hier. Während wir noch brainstormen, kommt die Frau wieder auf uns zu und gibt uns den nötigen Geheimtipp. Es gibt einen kleinen Waldweg, der kreuz und quer durch den National Park geht und der dann nach einer Stunde am Canyon enden soll. Sie drückt uns eine abenteuerliche Karte in die Hand, wir gucken uns kurz gegenseitig an, nicken und es geht los. Empfohlen wird für diese Strecke ein Wagen mit Allradantrieb, aber wir haben ja schließlich unseren Chevy Impala. Zwar ohne 4×4, aber das kriegt der schon hin. Wir vertrauen auf American Engineering. Der Weg ist großartig und überall sehen wir wilde Tiere. Ständig müssen wir hart abbremsen, weil wieder ein Reh den Weg mit einem Parkplatz verwechselt. Und Linc hält die Augen nach Bären offen. Er will unbedingt einen sehen und wir vertreiben uns die Fahrzeit, indem wir uns ausdenken, was wir machen würden, wenn uns jetzt ein riesiger Bär über den Weg laufen würde. Rennen, sich tot stellen, auf Bäume klettern und dem Bär ins Gesicht treten, den Bär würgen – alles ist dabei. Und dann sind wir da. Und der Bär ist vergessen. Und wir sind die glücklichsten Menschen überhaupt. Denn das hier ist der schönste Ort der Welt.
Wir erkunden ein wenig die Gegend und suchen einen geeigneten Platz zum Aufnehmen, denn eines ist sicher: Hier gehen wir nicht mehr weg, bevor wir etwas im Kasten haben. Linc packt seine Gitarre aus und setzt sich an den Rand des Canyons. Es ist ein magischer Ort zum Musik spielen. Irgendwas liegt hier in der Luft, dass uns in seinen Bann zieht. Wir reden nicht viel, lauschen nur den Klängen von Lincolns Gitarre, während ich Kameras und Mikros vorbereite.
Während der letzten Aufnahmen, geht Reini noch mal auf Entdeckungsreise. Plötzlich hören wir ihn laut rufen, doch können ihn nirgends sehen. Erst nach einer Weile und weiteren „Hier“-Schreien können wir ihn endlich ganz klein und winkend ausmachen. Er steht auf einem Felsvorsprung, der mitten in den Canyon ragt. Gefährlich sieht das aus. Wie ist er da bloß hingekommen? Von hier könnte man meinen, dass nur die Adler, die hier überall herumfliegen, es bis dorthin schaffen. Als Reini kurze Zeit später wiederkommt, erzählt er uns, dass dieser Felsvorsprung der perfekte Ort zum Aufnehmen und gar nicht so schwer zu erreichen ist. Naja, als wir noch mal hingehen, muss ich feststellen, dass „nicht schwer zu erreichen“ eine deutliche Untertreibung ist. Aber Reini ist ja der Kletterer und bietet sich großzügig an das Cello zu tragen und wir haben einen Deal. Während wir die schweren Rucksäcke über die tiefe Schlucht tragen (es geht an beiden Seiten des „Weges“ einige 100 Meter in die Tiefe), bemerken wir, dass wir nicht alleine sind. Ein Pärchen hat es sich mit Zelt und einer kompletten Campingausrüstung nicht weit von uns gemütlich gemacht und beobachtet unser Treiben. Während Linc und ich seinen Song “Into the Wild” aufnehmen, sitzen die beiden auf einem Felsen, trinken ein Glas Rotwein und lauschen aufmerksam der Musik.
Als wir nach einer Stunde unser ganzes Zeug wieder zusammenpacken, laden unsere Zuhörer uns auf ein Bier ein. Da können wir natürlich nicht nein sagen. Die beiden kommen aus Las Vegas und fahren gelegentlich für ein Wochenende zum Grand Canyon und campen. Wir ärgern uns, dass wir uns doch gegen das Zelt und Schlafsäcke entschieden haben, denn hier kann man es gut auch ein wenig länger aushalten. Linc spielt schnell noch ein Ständchen für die einzige Dame, denn die hat heute Geburtstag. Und dann müssen wir uns auch schon verabschieden, weil es schon wieder zu dämmern anfängt und wir noch ein wenig Strecke machen wollen. Denn das nächste Ziel heißt – Las Vegas. Und bis dahin sind es noch ein paar Hundert Meilen.