Von Security und Endgegnern in Sri Lanka

Wie es immer so schön heißt: Es ist wieder November in der Seele eines Seemanns. Das Meer ruft. Es muss weiter gehen. Nach über zwei Monaten Sri Lanka und Indien haben nun unsere letzten Tage in Galle begonnen. Es ist immer eine tolle und aufregende Zeit. Endlich wieder raus auf das Wasser und nichts machen außer Wellen schauen. Was wird diesmal alles schief gehen, wird der Wind auf unserer Seite stehen oder wieder mal gegen uns sein? Dann ist da natürlich die Vorfreude auf das nächste Land und dessen Musik und Musiker. Leider müssen wir uns aber auch von unseren neu gewonnenen Freunden verabschieden. Ob man sich wohl jemals wieder sieht? Jedenfalls sind uns jetzt ungefähr 15 verschiedene Schlafmöglichkeiten sicher, wenn wir das nächste Mal hier herkommen. Vom Gewürzmann bis hin zu unserem Barmann Sumeda vom Strandcafé. Alle wollen uns am liebsten gleich beim Ausfüllen des Einwanderungsdokumentes helfen. Gerade, wenn man sehr lange an einem Ort bleibt, fällt einem der Abschied natürlich nicht so leicht. Aber es muss ja schließlich weitergehen.

Bevor es losgehen kann, sind jedoch erst wieder Wasser- und Proviantbeschaffungsmaßnahmen zu bewerkstelligen. Und das für solch eine Riesentour. Für zwei oder drei Wochen zu planen, wie viel Wasser oder Reis man braucht, ist recht überschaubar. Zwei Liter Wasser pro Mann und pro Tag und dann noch ein bisschen für Kochen und Zähneputzen. Macht also für einen 2-Wochentrip um die siebzig Liter Wasser. Weil man ja meistens doch länger unterwegs ist, kann man noch großzügig was draufpacken. Aber was ist mit zwei Monaten? Kriegen wir so viel Wasser mit? Wie viele Äpfel, Bananen, Nudeln und Pilzkonserven brauchen wir, ohne dass unterwegs das Essen schlecht wird?

Während Hannes bei Sumeda im Strandcafé arbeitet, schnappe ich mir unseren Tuk-Tuk Fahrer Ekka und brause los, um mehr Wasserkanister zu besorgen. Ekka weiß immer, wo es alles zu finden gibt. Ekka weiß also auch gleich, wo es gebrauchte und günstige Wasserkanister gibt. Gut, dass die gelben Kanister ausgediente Pflanzenölkanister sind, hätte mich natürlich stutzig machen können. Aber wirklich ein Schnäppchen, wenn man eine ölige Wasseroberfläche und den leichten Beigeschmack im Trinkwasser nicht scheut. Und ich hab die Dinger doch wirklich gründlich ausgespült!

Naja, zurück am Hafen fülle ich meine zehn Plastikkanister gleich mit Inhalt, was bei einem eher dünnem Strahl aus dem Wasserhahn geschlagene zwei Stunden in Anspruch nimmt. Ich habe also genug Zeit, um mir schon mal im Voraus eine Taktik zu überlegen, wie ich am besten die 280 Liter Flüssigkeit (es sind in der Zwischenzeit noch vier Dieselkanister hinzugekommen) den restlichen Weg zum Boot  befördere. Mir ist bereits bewusst, dass das keine ganz einfache Angelegenheit wird, da ich ja noch an mindestens sieben braunen Anzügen vorbei muss, denen das Wort der Wichtigkeit oben auf die linke Brust gestickt ist: Security. Diese Einheit der Hafensicherheit lässt nicht so ohne weiteres fremde Gegenstände durch ihre metallenen Schranken. Ihr Hafen muss bewacht werden. Doch sind die braunen Hemden nicht das einzige Hindernis. Gleich dahinter, im letzten Level des Geschicklichkeitsspiels, sitzt in seinem kleinen Verschlag der Customs-Officer. Der Mann, den man nicht unterschätzen sollte. Der Mann, der das Sagen hat, bei dem man leise und höflich sprechen sollte, wenn man denn das Wort erteilt bekommt. Bei dem man stets leicht zu Boden schauen sollte, um seine Untergebenheit zu demonstrieren. Der Endgegner. Nach 2-stündiger Vorbereitungszeit bin ich mental bereit zum Kampf.

Es ist nicht das erste mal, dass die Angestellten an der Schranke zur Hafeneinfahrt versuchen aus uns schnelles Geld zu machen. Ihre Regeln sind einfach: Bringst Du etwas neu Erworbenes mit in den Hafen, brauchst Du eine Vollmacht, die vom Zoll, dem Hafenmeister, der Navy, unserer Agentur und von Peter im hintersten Gebäude unterschrieben ist. Selbst ein neues Seil oder Schrauben im Wert von 5 Euro. Also, entweder eine Vollmacht oder eine spontan ausgedachte Geldsumme. Oder alternativ auch eine Pulle Whiskey oder Rum. Aber die Große muss es schon sein.

Unsere Regeln sind auch einfach: Die kriegen keine Rupie von uns! Wir schaffen das auch mit Überredungskünsten. Auch, wenn es meistens etwas länger dauert.

Ich gehe also in weiser Voraussicht erst mal zu unserer Agentur, die hier in Sri Lanka jeder Segler braucht und die sich um jeglichen Papierkram beim Ein- und Ausklarieren kümmern. Normalerweise machen wir das auch immer selber. Hier jedenfalls ist die Agentur ein Muss und kostet ja auch nur ein kleines Vermögen.

Ich erkläre meinem Lieblingsangestellten mein Anliegen und deute auf meine 14 gelben Kanister. Heimlich hoffe ich auf eine freie Transporthilfe in einem der zahlreichen Transporter, die draußen überall herumstehen. „Ah, leider ist das nicht so einfach“, antwortet der Mann und erklärt mir mit bedauerlicher Miene noch einmal das längst bekannte Spiel der Bearbeitungsprozedur. Außerdem würde für ihn ja auch nichts herausspringen! – sagt er zwar nicht, das kann ich aber an seinen Augen ablesen. Ich solle doch mal mit den Leuten von der Security an der Schranke sprechen, die haben einen Trolley, den ich nutzen könnte, um die Kanister zum Boot zu transportieren. Okay. Ich bedanke mich recht herzlich und ziehe los ins Kampfgebiet.

Dort angekommen, versuche ich überfreundlich mein Problem ein weiteres Mal zu schildern. „Ja, ich war schon bei meiner Agentur und die meinen, ich käme auch ohne eine Vollmacht mit meinen Kanistern durch die Schranke“, lüge ich. Ausgetrickst, damit scheint die Vollmacht glücklicherweise kein Hindernis mehr zu sein. Geld? Nee, ich weiß nichts von irgendwelchen Kosten, die ich an der Schranke bezahlen müsste. Okay, kein Geld, ich solle doch meine Kanister mit den 280 Litern Inhalt den Kilometer zum Boot tragen, ist die durchaus freundliche Antwort. Kurz durchdenke ich die Situation: Zwei Kanister a 20 kg macht 40 kg pro Gang, macht sieben Gänge und 14 km Fußweg und danach fallen mir erst beide Arme ab und ich lande danach tot im Bach. Nee, keine gute Idee. Der nächste Vorschlag ist der Customs-Officer.

Zeitung lesend, den Körper schlaff nach vorne über den Schreibtisch gebeugt und aus leicht glasigen und müden Augen schauend, sitzt dieser in seinem Büro. Zum dritten Mal beschreibe ich die Lage. „Nee, ich brauche keine Vollmacht“, versuche ich es ein weiteres Mal. Ich will aber den Trolley, sage ich, nachdem ich schnell merke, dass da nichts weiter geht. Leider ist dieser gerade kaputt. Na so was. Dann bleibt also nur die Fahrt mit der Agentur. Trotz all meiner Argumente will er noch nicht so richtig und wir kommen nicht weiter. Ich solle noch mal zur Agentur gehen und mit denen sprechen. Hmm, tja worüber bloß? Egal, ich mache mich noch mal auf den Weg zurück zur Agentur. Ich betrete das klimatisierte Büro und erzähle dem Angestellten, alles wäre in Ordnung und wir könnten jetzt los. Mir fällt einfach nichts anderes ein, worüber wir noch hätten sprechen könnten. „Ja, das wird jetzt aber schwierig, es ist nämlich schon nach vier Uhr und nach vier Uhr muss auch die Agentur jedes Mal tausend Rupien bezahlen, wenn sie durch die Schranke will“, antwortet er und richtet seine Brille auf der Nase zurecht. Ich solle doch morgen wiederkommen. Das mit den vier Uhr ist mir jetzt aber auch neu, denke ich. Da es aber bei jedem Gespräch etwas Neues zu lernen gibt, mache ich mir nicht allzu viele Gedanken darüber. Der Mann lässt nicht locker und ich mache (nur ganz leicht gereizt) den Vorschlag, doch noch mal mit den Burschen vom Zoll zu reden. Vielleicht machen sie ja eine Ausnahme. Mittlerweile ist es auch schon fast dunkel und ich hatte mir fest vorgenommen, den ganzen Krempel noch im Hellen über den schmalen und wackeligen Plastiksteg zur Marianne zu befördern. Also schnell zurück in die Höhle des Löwen. Als ich dem Mann vom Zoll von den tausend Rupien nach vier Uhr erzähle, weiß dieser nicht wovon ich rede. Jetzt wird es mir langsam zu bunt. Wem kann man überhaupt glauben? Denen werd’ ich es zeigen! Also alles noch mal von vorne. 14 Wasserkanister, laufen zu weit, Trolley kaputt, tausend Rupien für die Agentur nach 16 Uhr. Schnell beginnen die Augen des Zollbeamten zu funkeln. Ich solle mich doch setzen. Man könne das ganze ja auch anders regeln. Wenn ich ihm helfe, dann könnte er auch mir helfen. Ich überhöre die Aufforderung zur Bestechung einfach und spule stattdessen noch mal meinen Text von vorne ab. Während unserer gesamten Reise, haben die Leute von der Einwanderungsbehörde oder vom Zoll uns schon oft den Wink gegeben, dass ein kleines Geschenk doch sehr willkommen sei. Nä, nicht mit uns. So was kann ich einfach nicht. Ist nicht mein Ding, läuft nicht. Und ich fange bestimmt nicht heute und hier damit an. Und schon gar nicht für lächerliche Wasserkanister!

Wieder macht der Mann im weißen Hemd eine Geste, nun etwas deutlicher, da er glaubt ich verstünde ihn wohl nicht recht und reibt seinen rechten Daumen gegen den Zeigefinger. Geld? Davon weiß ich jetzt aber nichts, versuche ich es wieder, aber die Leute von der Agentur könnten mich doch stattdessen schnell rüber fahren. Ablenken, Gehirnwäsche, immer vom Geldthema abschweifen und auf etwas anderes ansprechen ist meine Devise. Das verwirrt die Leute total. Als er zum fünften mal sagt, hier würde nichts gehen, außer wir würden uns gegenseitig helfen, platzt mir der Kragen, ich trete vor die Tür, stelle mich direkt davor, sodass ich das große Schild vor mir sehen kann, welches über dem Büro angebracht ist. Alle Augen der Sicherheitsleute sind auf mich gerichtet. Ich hole tief Luft und lese die ersten Zeilen des Metallschildes so laut vor, dass alle es hören können:

“It’ a punishable offense to bribe…”

Das hat gesessen. Ich gehe wieder in das Büro. Das weiße Hemd schaut mich nur verdutzt an. Dann mache ich ihm verständlich, dass ich kein Geld geben kann, weil ich doch nicht eingesperrt werden möchte. Ich füge noch hinzu, dass meine Religion mir das auch verbieten würde oder so, ob er denn auch religiös sei. „Also, ich hol jetzt die Kanister und dann fahren wir durch, okay?“, sage ich schließlich und gehe einfach. Mal schauen, was passiert.

Jetzt weiß der Mann von der Agentur auch nicht mehr weiter und willigt mit zerknittertem Gesicht endlich ein. Ausgerechnet jetzt ist natürlich gerade kein Auto verfügbar. Aber sofort als das nächste kommt, beschlagnahme ich es regelrecht und mir helfen zwei junge Kerle von der Agentur die 280 kg auf die Ladefläche zu hieven. „Kein Problem mit dem Zoll?“, fragen sie mich noch beim Starten des Motors. „Nee, nicht das Geringste“, sage ich schnell und springe mit auf die Ladefläche.

Vor der Schranke müssen wir anhalten. Nichts passiert, alle Sicherheitsleute schauen nur in der Gegend rum. Jetzt kann ich mich nicht mehr halten, springe von der Ladefläche, laufe zur Schranke und öffne sie einfach selber, während ich die Jungs im Auto herwinke. Natürlich werden die Sicherheitsleute stinksauer und schreien mich an. Ich frage, was denn los wäre, warum keiner die Schranke aufmachen würde, es wäre doch alles geregelt. Da steigen die Agenturangestellten grinsend aus dem Auto aus und kommen zur Hilfe. So was haben sie wohl auch noch nie miterlebt. Eigentlich sind alle am Schmunzeln, auch die braunen Uniformen. Während meine Jungs dann schnell mit dem Boss vom Zoll reden und die Situation regeln (nicht mit dem Zollbeamten, mit dem ich mich rum geschlagen habe. Hätte ich das früher gewusst, dass da irgendwo noch ein höheres Tier sitzt…), kommt ein netter Security-Mensch auf mich zu, lächelt mich an, legt mir den Arm um die Schulter und sagt, dass ich doch ein „good guy“ wäre, aber dass ich doch wirklich nicht die Schranke selber aufmachen sollte. Auch ich gebe ihm einen Klaps auf den Rücken, schlage dann meinen Kopf ein paar Mal leicht gegen seine Schulter und sage mit künstlich gedehnter Stimme, dass sie mir auch wirklich das Leben nicht immer leicht machen. Alle finden unsere Versöhnung witzig und sind wieder gut drauf. Ich beschließe hiermit, dass ich den Kampf gegen die Untermächte gewonnen und dabei keine Rupie ausgegeben habe. Als meine Burschen kurz darauf wieder da sind und wir im Auto sitzen, rufe ich „Go go go, let’s go fast! They’re coming!“ und jetzt können sie sich das Lachen nicht mehr verkneifen. Ob ich mir mit dieser Aktion ein klein wenig Respekt und damit eine kommende bestechungsfreie Zeit geschaffen habe, oder genau das Gegenteil bewirkt habe, weiß ich erst am nächsten Tag, als das Thema Whisky und Rum wieder aufkommt. Warum gibt es auch so viele von diesen Security-Leuten? Naja, Hauptsache ich kann jetzt endlich ausladen. Mittlerweile ist es natürlich stockdunkel.

Senf dazugeben