Komplett durchgeschwitzt vom steilen Anstieg in den engen Gassen von Santa Teresa, stehen wir Punkt 21 Uhr vor einer vergitterten Tür. Sind wir hier richtig? Was mir allerdings mehr Sorgen macht, ist, dass man uns mit normalen Backpackern verwechseln könnte, wie wir so suchend um uns blicken und mit tonnenschweren Rucksäcken voller Equipment vor dem Hostel warten, in dem Juan noch nebenbei arbeitet, um sich das nächste Schlaginstrument finanzieren zu können. Hier wollen wir den Rest der Jungs und Mädels von der „Trupe dos Errantes“ (Truppe des Wanderns) treffen und dann um 11 Uhr irgendwo aufnehmen gehen.
Nur eine Stunde zu spät (Brasilianische Uhren gehen manchmal nicht ganz so genau) wandern wir mit Juan, Fernando, Arthur, Jean und Nina musizierend durch Santa Teresa und können trotz des ständigen Auf- und Ab kaum die Augen von den Häusern der unzähligen europäischen Einwanderer lassen. Umhüllt von Gesang, Geigen-, Querflöten und Akkordeonklängen – sogar einer Trommel in einer Dienstagnacht(!) – lassen schiefe Dächer über von Ranken bewachsenen Balkonen mit üppig verzierten Geländern und dorischen Säulen neben überfüllten Bars, voll trunkener Touristen, den Charme Friedrichshains in Berlin, auf das Niveau einer Plattenbausiedlung in Rostock-Dierkow sinken. Ich bin so glücklich, dass jetzt noch ein 50 Cent Sterni vom Späti in der Hand mich vergessen lassen würde, warum ich noch weiter nach Hause segeln sollte.
Nach unzähligen Biegungen, die nicht nur meinen Orientierungssinn vollkommen überfordern, erreichen wir den Platz „Largo das Neves“ und treffen – ungefähr anderthalb Stunden zu spät – dort noch Sänger und Tänzer Caio mit Tanz- und Gesangspartnerin Thais. Auf den Bänken um den Platz herum, sitzen Schaulustige und prosten sich mit Caipirinha zu, den sie aus dem Kofferraum eines alten VW Passat beziehen, während wir die Rucksäcke entladen, Mikrofone aufbauen, uns Bier aus dem Kofferraum reichen lassen und das Gewusel aus Musikern und Tänzern versuchen so zu organisieren, sodass wir zusammen ein paar Lieder aufnehmen können.
Gegen zwei Uhr hat die örtliche Polizei dann tatsächlich den Nerv unsere Aufnahme-Session zu unterbrechen und uns um Ruhe zu bitten, macht aber den Fehler, uns ihr Vertrauen zu schenken, dass wir in 5 Minuten aufhören würden und fährt von dannen. So ist es schließlich die unfassbare Macht eines erschöpften Kamera Akkus, die uns Wandersleut‘ viel später als versprochen wieder zum Einpacken bewegen kann.
Mit „Bella Ciao“ in den Ohren kommt es mir auf dem Rückweg so vor, als hätten die Straßen noch ein paar Biegungen und mein Rucksack ein paar Kilo zugenommen. Kann ja eigentlich nicht sein, aber ich hätte schwören können, dass der Hinweg größtenteils bergauf ging und es jetzt demzufolge bergab gehen müsste. An dieser Illusion muss wohl das überteuerte wässrige Bier schuld sein, das einfach nicht richtig betrunken macht – nur den Kopf kaputt und die Zunge pelzig. Und wenn es nicht mehr eisgekühlt ist – die Kühlschränke zeigen hier immer -3,5°C an – sollte man es eigentlich gleich bleiben lassen.
Gegen fünf erreichen wir schließlich die Marianne und in der Koje fällt mir dann ein, dass wohl aus genau diesem Grund Caipirinha und Joints auf den vorderen Plätzen der brasilianischen Genussmittel-Charts liegen müssen. Bei mir aber nicht und deshalb beschließe ich im Halbschlaf, doch die Pfanne nicht an den Nagel zu hängen und meine Anstellung als Smutje erst mal zu behalten…